Sozialbetrug durch Eltern behinderter Kinder?
Anonym übermittelt “ein besorgter Kärntner Bürger” am 30. Juli 2012 eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Kärnten. Er bezieht sich auf eine Aussage von Landeshauptmann Gerhard Dörfler nach der Regierungssitzung vom 5. Juni 2012, in der die FPK im Alleingang die Wiedereinführung des Pflegeregresses in Kärnten beschlossen hat. Landeshauptmann Dörfler hat einem Bericht der Kleinen Zeitung zufolge die Aussage getätigt, dass der Pflegeregress für behinderte Menschen zumutbar sei, weil es für Eltern behinderter Kinder eine erhöhte Familienbeihilfe gibt, mit der der Regress bezahlt werden könne. Wörtlich sagte Dörfler, “dieses Geld ist nicht für die Schachtel Marlboro oder den Spoiler am Auto”.
Der Verfasser der Sachverhaltsdarstellung sieht in dieser Aussage des Landeshauptmannes nicht nur die Unterstellung des Sozialbetrugs durch Eltern behinderter Kinder, sondern auch den Versuch, diese Personengruppe in der Öffentlichkeit verächtlich zu machen, um rechtlich fragwürdige politische Entscheidungen zu rechtfertigen. Er fordert die Staatsanwaltschaft auf tätig zu werden und insbesondere die Verletzung des Verhetzungsparagraphen (§ 283 Abs. 2 StGB) zu prüfen.
Zur Erinnerung:
In der Regierungssitzung vom 5.6.2012 beschloss die FPK-Regierungsriege die Wiedereinführung des Pflegeregresses im Alleingang. Ab 1. Juli 2012 werden nicht nur Angehörige älterer pflegebedürftiger Personen, sondern auch Eltern behinderter Menschen zur Kasse gebeten. Dies soll dem Land Kärnten zusätzlich rund 2,5 Millionen Euro jährlich in die Kasse spülen – 400.000 davon aus dem Regress für behinderte Kinder. Wie hoch der administrative Aufwand dafür zu beziffern ist, lässt sich momentan noch schwer sagen. Jedoch war in der ORF-Sendung “Streitgespräche” am 4. Juni davon die Rede, dass ca. 1 1/2 Vollzeitäquivalente dafür notwendig sein werden.
Die FPK wurde in der Vergangenheit nicht müde zu betonen, dass die Wiedereinführung des Pflegeregresses eine bugetäre Notwendigkeit ist und ganz perfid, auch eine Maßnahme der Gleichbehandlung. So betonte Trettenbrein in einer OTS-Aussendung, “dass es beim Pflege-Regress in erster Linie um eine Frage der Gerechtigkeit mit der ambulanten Pflege geht und erst nachrangig um eine budgetäre Maßnahme”. “Es sei sinnwidrig, dass nach dem jetzigen System die Heimpflege kostenlos ist, während für die ambulante Pflege Selbstbehalte anfallen, das musste korrigiert werden”, sagte Trettenbrein. Ein interessanter Ansatz: auf die Situation der Barrierefreiheit umgemünzt, müsste man dann also, um Gleichbehandlung zu erreichen, die Zugänge zu öffentlichen Gebäuden auch für nichtbehinderte Menschen verunmöglichen?
Kärnten steht mit einem Pflegeregress nicht alleine da. Werden weitere Bundesländer nachziehen, um Gleichstellung zu schaffen? Oder wird es vielleicht doch noch zu einer bundesweiten Regelung kommen, die dem Volkswunsch entspricht und Pflege als eine Aufgabe der Solidargemeinschaft sieht?