Stolperstein 6: Wenn Assistive Technologien zu Hürden werden
Smartphones, Tablets, Laptops oder Desktop-PCs sind aus dem täglichen Leben der meisten Menschen in unserem Kulturkreis nicht mehr wegzudenken. Bis auf wenige Ausnahmen kommen die meisten in den Genuss diese Technologien mehr oder weniger gut benutzen können zu müssen. Nicht jede bzw. jeder kann dies ohne weiteres. Viele Menschen sind aufgrund ihrer speziellen körperlichen oder kognitiven Eigenschaften nicht, oder nur schwer in der Lage neue Informations- und Kommunikationstechnologien ohne diverse Vorkehrungen zu nutzen. Dieser Umstand vergrößert, wenn nicht berücksichtigt, die Digitale Kluft in unserer Gesellschaft.
Assistive Technologien wie Screen Reader, Vergrößerungssoftware oder Spracheingabe sollten die Bedienung von Systemen wie Computern oder Smartphones durch Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen.
Während es für manche Hersteller ohne Probleme möglich zu sein scheint ihre Produkte so zu gestalten, dass sie von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können, ohne dass diese teure Zusatzsoftware installieren müssen, scheint dies bei den meisten anderen großen Herstellern von Betriebssystemen und Software noch nicht weit gediehen zu sein.
Der Durchbruch in Sachen Barrierefreiheit scheint hier Apple gelungen zu sein. Sowohl auf PC und Notebook (Mac OS X) als auch auf mobilen Geräten (iPhone und iPad) wird mit VoiceOver von Haus aus ein Screen Reader und eine Vergrößerungsfunktion mitgeliefert. Die sehr restriktive Politik von Apple hinsichtlich Drittsoftware sorgt dafür, dass auch diese durch die mitgelieferten Assistiven Technologien genutzt werden können.
Daneben wirken die Bemühungen von Microsoft möglichst vielen potentiellen Nutzerinnen und Nutzern ihrer Produkte ein gebrauchstaugliches Arbeiten zu ermöglichen geradezu lächerlich. Mit Windows 7 werden zwar im Rahmen des Centers für erleichterte Bedienung diverse Funktionalitäten wie Bildschirmlupe, Sprachausgabe oder Bildschirmtastatur mitgeliefert, dies sind jedoch bestenfalls nur halbherzige Implementierungen die nicht vernünftig einsetzbar sind. Die größte Errungenschaft von Windows 7 ist die Vollbild-Funktion der Bildschirmlupe, die nun, endlich ein einigermaßen vernünftiges Vergrößern erlaubt und auch wenig Ressourcen verbraucht. Diese Funktion ist jedoch nur von Personen nutzbar, die einen geringen Grad der Vergrößerung benötigen. Da es, wie z.B. bei Zoomtext, keine Glättung der Schrift gibt, sieht man bei hohem Vergrößerungsgrad die Bildpunkte des Textes, weshalb dieser wieder schwerer lesbar wird. Die mitgelieferte Sprachausgabe kann jedoch nur als schlechter Witz angesehen werden, zumal in der Deutschen Version noch nicht einmal eine deutsche Stimme mitgeliefert wird. Liebe Damen und Herren von Microsoft, was wollen Sie uns damit sagen? Wenn sie nicht englisch sprechen, brauchen Sie keine Sprachausgabe?
Unter Windows bleibt den meisten Betroffenen dann meist nur der Weg auf teure Zusatzsoftware zurückgreifen zu müssen. Software wie ZoomText (für Menschen mit Restsehvermögen) oder JAWS oder Virgo (Screen Reader für blinde Personen) stellt die genannten Funktionalitäten mehr oder weniger zur Verfügung, dies hat jedoch seinen Preis. 120€ für eine Windows Lizenz stehen hier 1000€ bis 2000€ zur Anschaffung der Zusatzsoftware gegenüber.
Und trotz dieser hohen Kosten kommt es immer wieder dazu, dass diese Hilfsprogramme, die Dir das Arbeiten am PC erleichtern sollen selbst zu Hindernissen werden. Ein Beispiel hierfür ist die aktuelle Situation rund um ZoomText. In den letzten Tagen und Wochen wurden aktuelle Versionen der gängigen Webbrowser veröffentlicht. Leider funktioniert ZoomText momentan weder mit Firefox 4, Internet Explorer 9, Opera 11 oder Chrome. Dies ist ein Versäumnis des Hersteller ai squared, der seine Software in den letzten Monaten nicht auf die aktuellen Versionen der Schnittstellen für Barrierefreiheit angepasst hat. Dies ist unverständlich, da sowohl von Internet Explorer 9 als auch Firefox 4 bereits seit längerem Betaversionen und davor auch Entwicklerversionen bereitgestellt wurden, auf deren Basis man schon lange hätte etwas entwickeln können. Im allgemeinen Funktioniert die AppReader Funktion von ZoomText, die für das Vorlesen von Texten in Applikationen zuständig ist, in vielen Programmen mehr recht als schlecht, wenn überhaupt.
Dieses Beispiel zeigt die Problematik, wenn Assistive Technologien von Drittanbietern auf das System aufgesetzt werden müssen, und damit auch noch Drittsoftware zu bedienen ist. Wie es auch beim Zusammenbau eines PCs oft ein Glücksspiel ist, dass die verwendeten Hardware-Komponenten auch ohne Probleme miteinander zusammenarbeiten, so ist es nicht immer sicher, dass Software von verschiedenen Herstellern wie gewünscht miteinander kommuniziert. Man mag über Apple’s restrictive Haltung zu Software von Drittanbietern denken was man möchte, aus dem Blickwinkel der Barrierefreiheit ist dieses Vorgehen als Vorteil zu werten.
Ist mein Handy barrierefrei?
Auf mobilen Plattformen zeigt sich ein ähnliches Bild. Smartphones und Tablets von Apple sind ohne weitere Installationen von vorn herein durch blinde und sehbehinderte Personen nutzbar. Kein Wunder also, dass sich das iPhone bei dieser Personengruppe so großer Beliebtheit erfreut. Für Symbian gibt es mit Talks wieder eine kommerzielle Lösung, die ihren Dienst bisher auch recht zufriedenstellend geleistet hat. Für Android existiert mit Talkback ein Open-Source Screen Reader, der jedoch noch in den Kinderschuhen steckt. Diverse Apps bieten weitere Accessibility-Funktionen, ein Gesamtkonzept, wie beim iPhone, ist jedoch noch nicht zu erkennen.
Und was ist mit Linux?
Wie wir gesehen haben, schaffen es die wenigsten kommerziellen Anbieter ihre Produkte von Haus aus barrierefrei, oder zumindest mit relativ wenigen Barrieren, anzubieten. Wie schaut es in der Open Source Comunity, insbesondere beim Betriebssystem Linux, aus? Meiner Meinung nach auch nicht viel besser. Die Vielfalt an Distributionen, Desktop Umgebungen sowie Bibliotheken verhindert derzeit einen gemeinsamen Ansatzpunkt für Assistive Technologien. Während mit Orca unter Gnome bereits eine recht brauchbare Screen Reader Lösung existiert, finden wir bei KDE und seinem QT Toolkit noch finstere Steinzeit in Hinsicht auf Barrierefreiheit. Auch OpenOffice (bzw. heute ja eher LibreOffice) hat in Sachen Zugänglichkeit noch einiges nachzuholen.
Offenheit schlecht für Barrierefreiheit?
Die Vorgestellten Beispiele verleiten zur Vorstellung, dass je offener ein Betriebssystem ist, und je mehr Eigenständigkeit den Programmiererinnen und Programmierern gelassen wird, desto weniger barrierefrei wird die Arbeitsumgebung. Ich glaube zwar nicht, dass sich die Frage so einfach beantworten lässt, einen Funken Wahrheit enthält sie jedoch. Anpassbarkeit verleitet zu Kreativität, und Kreativität steht oft im Wiederspruch zu Standardisierung. Gleiche Bedingungen für gleiche Dokumente oder Anwendungen sind jedoch wesentliche Grundlagen, damit wir diese möglichst barrierefrei benutzen können.
Weblinks
- Unterstützungstechnologie – Wikiepdia (Deutsch),
- Assistive Technology – Wikipedia (Entlisch),
- Digitale Kluft – Wikipedia (Deutsch),
- Barrierefreiheit bei Apple.